Opfer –Täter – Retter
In den letzten Tagen machte ich mir viele Gedanken zu den Rollen Opfer, Täter und Retter.
Denn kürzlich las ich von einer Frau, die auf offener Straße angegriffen wurde. Ein Taschendieb versuchte, ihr die Handtasche zu entreißen und versetzte ihr einen heftigen Stoß. In diesem Moment griff ein Passant beherzt ein, nahm den Angreifer in den Schwitzkasten und konnte ihn festhalten, bis weitere Hilfe kam.
Was für ein toller Typ, dieser Retter! Wie er den Täter überwältigte und damit das Opfer vor weiterem Schaden schützen konnte, während der Täter wenig später von der Polizei ergriffen und abgeführt wurde.
Eine wirklich runde Sache, und in diesem Fall konnte man mit Recht sagen:
Ende gut, alles gut.
Wie schön, wenn es immer so einfach wäre, wenn immer so deutlich auf der Hand liegen würde, wer der Täter, wer das Opfer und der Retter ist!
Das hört sich jetzt erst mal seltsam an, aber es gibt viele Situationen, in denen das bei genauerer Betrachtung nicht so klar ist. Und viel häufiger noch sind die Situationen im Leben, in denen dir gar nicht bewusst ist, in welcher Rolle du dich eigentlich gerade befindest. Denn du musst nicht auf offener Straße überfallen und brutal zusammen geschlagen werden, um ein Opfer zu sein. Und auch wenn du niemanden angreifst bist du vielleicht ein Täter. Oder du bist ein Retter, ohne dass nach außen hin etwas davon zu bemerken ist.
Das läuft häufig so viel subtiler ab….
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Ein Opfer zeichnet sich dadurch aus, dass es wehrlos und ausgeliefert ist, dass es in etwas hinein gezwungen wird, oder dass man ihm in irgendeiner Form Gewalt antut.
„Du Opfer“ ist in bestimmten Kreisen mittlerweile zu einer beliebten Beschimpfung geworden, die die Überlegenheit und Verachtung des Täters in einem Wort zum Ausdruck bringt. Das sind krasse und gefährliche Situationen, in denen der Täter das Opfer in große Bedrängnis bringt und auch körperlich bedroht.
Aber hier soll nicht von dieser Art Opfer gesprochen werden, denn auch in einem ganz normalen und unspektakulären Alltag kannst du das Opfer von sehr vielem sein, ohne es auch nur bewusst wahrzunehmen.
Du kannst zum Beispiel ein Opfer deiner eigenen Eitelkeit sein und wirst dann sehr viel dafür tun, denn du möchtest unbedingt gefallen. Dafür investierst du Zeit, Energie und Geld, nimmst vieles in Kauf. Du bist ein Opfer und bringst sogar Opfer, um in dieser Rolle zu bleiben! Und oft auch noch, ohne es zu bemerken, ist das nicht verrückt?
Oder du bist süchtig nach Anerkennung und gibst am Arbeitsplatz das letzte, was auf Kosten deiner Gesundheit, vielleicht auch deiner Familie und sozialen Beziehungen geht.
Du kannst zum Opfer überhöhter Erwartungen werden, die jemand anders oder du selber an dich stellst.
Vielleicht fällst du auf die Bilder der Werbung herein, von denen du manipuliert wirst, und du versuchst, dich zu perfektionieren, dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen, im Bodybuilding an der perfekten Figur zu arbeiten, mit gezielten Übungen deine Muskeln zu modellieren.
Und wenn du ein Opfer deiner Zigaretten, – Alkohol oder einer anderen Sucht bist, schädigst du auf Dauer deine seelische und körperliche Gesundheit nachhaltig.
Dies sind nur einige Beispiele von vielen, in denen wir „ Opfer“ sind.
Wunderbarerweise besteht aber der erste Schritt zur Veränderung bereits darin, diese Situationen, in denen wir uns befinden, überhaupt als „Opferrollen“ wahrzunehmen. Dann kannst du dich augenblicklich dafür entscheiden, dich nicht länger zu opfern, musst kein Opfer mehr bleiben.
Es sei denn – und das kommt häufig vor – , du fühlst dich im Grunde genommen wohl in deiner Opferrolle und / oder hast große Angst davor, sie zu verlassen und dein Verhalten zu ändern.
Es ist häufig so viel einfacher, sich in der ungeliebten, aber zumindest bekannten Situation einzurichten.
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Nun schauen wir uns den Täter an.
Die Rolle des Täters ist charakterisiert durch aktives Handeln, im oben geschilderten Fall geschieht das zum Schaden anderer. Überhaupt haftet dem Begriff Täter grundsätzlich etwas Negatives an, wir denken sofort an Mord, üble Machtausübung, Nötigung, Unterdrückung oder Verletzung anderer. An die Ausübung von Zwang, rabiate Durchsetzung des eigenen Willens, und absolute Rücksichtslosigkeit.
Aber wenn du mal über den Ursprung des Wortes nachdenkst stellst du fest:
Im Grunde genommen bedeutet das Wort Täter nur, dass da jemand ist, der etwas tut. Der die Initiative ergreift, etwas in Bewegung bringt, aktiv ist. Das ist also eigentlich erst mal ganz wertneutral. Und kann sogar positiv sein im Sinne von: etwas in Gang bringen, die Verantwortung übernehmen für das, was geschieht.
Also aufgepasst mit der automatischen Zuschreibung negativer Eigenschaften, wenn es um den Täter geht.
Und dann – Tata! – hier kommt er, der dritte im Bunde: der Ritter auf dem weißen Ross in seiner schimmernden Rüstung! Der Retter, der Drachenkämpfer, der dem Opfer zu Hilfe eilt, ihm beisteht und die bedrohliche Situation auflöst.
Das ist eine tolle Rolle, in der du richtig gut dastehst, denn du bist der Held, der den bösen Täter zurück schlägt –
oder zumindest den Handtaschendieb überwältigt.
Die Dankbarkeit des erretteten Opfers ist dir gewiss, ebenso wie der Ruhm und das Lob durch andere.
Aber ist nicht auch diese Rolle ein wenig zwiespältig?
Haben wir nicht alle schon über den Witz gelacht, in dem ein alter Mensch gegen seinen Willen über eine Straße geschleift wird, nur weil er da unentschlossen am Bordstein stand ?
Ein aufmerksamer und durchaus wohlmeinender Mitbürger deutet das so, als ob er sich nicht traut, folglich Hilfe benötigt, und zieht ihn ohne langes Fackeln auf die andere Straßenseite. Da steht er nun, der arme Kerl, denn eigentlich wollte er die Straße gar nicht überqueren!
Er ist zum Opfer geworden, während der Täter mit einem warmen Gefühl in der Brust davon schreitet und sich als Retter wähnt!
Oder jemand rettet einen anderen, egal von oder vor was, und nimmt sich diesem Menschen gegenüber dann nicht mehr zurück. Möchte immer in der Rolle des Retters bleiben, weil sich das einfach so gut anfühlt und dem eigenen Leben Sinn und Bedeutung verleiht. Und damit macht er den anderen etwas kleiner, nimmt ihm vielleicht aus gut gemeinter Fürsorge immer wieder mal die Entscheidungsfreiheit, schmälert seine Eigenverantwortung…..
Der Retter ist dann in Wirklichkeit zum Täter geworden und das Opfer bleibt in seiner Rolle gefangen.
Das kann vielleicht sogar ein goldener Käfig sein, luxuriös ausgestattet und gepolstert, damit der, der drin sitzt, nicht bemerkt, wie er sich die Flügel an den Gitterstäben stößt und nie das fliegen lernt……er bleibt im Gefängnis.
Manchmal ist es vielleicht besser, zu warten, dass das Opfer sich selber rettet, eigene Möglichkeiten und Kräfte entwickelt? Wie der Sportlehrer, der einfach neben dem Stufenbarren stand und nur dann kurz eingriff, wenn ich wirklich an einem der Holme hängen zu bleiben drohte……
Nun bin ich weit davon geflogen in meinen Gedanken, und je mehr ich über dieses Thema nachdenke, umso vielschichtiger, tiefgründiger wird es.
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Aber um es jetzt mal etwas zusammen zu fassen:
Alle Opfer der Welt verdienen unser Mitgefühl, und um hier nicht mit den finstersten Bildern von Mord und Totschlag zu schließen, bleibe ich mal bei der geraubten Prinzessin und dem eingesperrten Vogel in seinem goldenen Käfig.
Die Prinzessin hat sich vielleicht schon längst in den Bärenprinzen verliebt, und ich wünsche es ihr von Herzen!
Die Tür des Käfigs steht vielleicht offen, ohne dass der Vogel es bemerkt….
Von den Rettern sind mir, nebenbei bemerkt, immer noch die am sympathischsten, die nicht in aller Öffentlichkeit geehrt werden, also die stillen, freundlichen, unauffälligen Retter, die es als Selbstverständlichkeit ansehen, für andere da zu sein.
Das können sogar ganz kleine und unspektakuläre Taten sein, die sie vollbringen. Das Lächeln eines fremden Passanten hat mir schon manchen völlig unerträglichen Tag gerettet, und von einer Sekunde auf die andere meinen Stresspegel sinken lassen. Das Schönste ist doch, das jeder ein solcher Retter sein kann, denn dafür braucht es keine Bärenkräfte und keinen Heldenmut.
Und dann der Täter: er ist nicht immer böse, so viel haben wir ja schon festgestellt……
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Am Wichtigsten scheint mir, das man sein Leben anschaut und herausfindet, in welchem Zusammenhang man in welcher Rolle ist, und sich zu fragen ob es das ist, was man will.
Willst du wirklich aus einer Opferrolle heraus kommen, in der du dich befindest?
Überleg dir das gut, denn so komisch es klingt: manchmal bietet die Opferrolle einige Vorteile, auf die du in Wahrheit nicht verzichten willst. Das ist dann deine Entscheidung und die ist, wenn es für dich stimmt, total okay!
Aber wenn du kein Opfer mehr sein möchtest, dann kannst du es ändern, und wenn du es nicht alleine schaffst, dann gibt es andere, die dir dabei helfen können, ohne sich gleich in die Ritterrüstung zu werfen, sondern dir auf Augenhöhe begegnen und dir genau so viel und so lange Unterstützung geben, wie du sie brauchst.
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Und dann der Täter, ja, wie ist der hier nun unterzubringen?
Vielleicht kannst du der Täter in deinem eigenen Leben sein oder werden, ein Täter im positiven Sinne, indem du selber etwas tust, aktiv bist, zur Tat schreitest, in verschiedenen Bereichen noch mehr Verantwortung für dich übernimmst und dein Leben zunehmend selber gestaltest, so, wie es dir entspricht.
Vermutlich wird jeder von uns nicht immer in diesem Sinne der „gute Täter“ sein können, weder im eigenen noch im Leben anderer, sondern immer wieder mal in eine der anderen Rollen rutschen. Zumindest besteht immer die Möglichkeit, denn dieses Dreieck bedingt sich gegenseitig und ist in etwa so alt wie die Menschheit.
Aber zu wissen, an welchem Eckpunkt wir uns gerade befinden, macht doch schon einen großen Unterschied.
Denn wenn du dir bewusster wirst, was abläuft, dann hast du die Wahl. Und auch hier gilt: in verworrenen Situationen, wenn du wie im Nebel stehst, kann jemand anders manchmal klarer sehen als du selbst. Kann dir einen hilfreichen Hinweis geben, ohne dabei als Retter auftreten zu müssen, – ein guter Therapeut kann das auch!
Ja, manchmal braucht man etwas Hilfe. Und an dieser Stelle muss ich tatsächlich noch einen weiteren Aspekt anfügen, den ich bisher unerwähnt gelassen habe, weil er sich unserem normalen Alltagsbewusstsein gänzlich entzieht. Aber trotzdem ist er sehr wichtig!
Täter, Retter und Opfer spielen nämlich nicht nur außerhalb unserer Person eine Rolle, sondern auch in uns selber, und da ganz tief an einem unzugänglichen Ort, im Bereich des Unbewussten. Schon in frühester Kindheit haben wir uns in den verschiedenen Rollen erlebt, die wir damals noch nicht erfassen konnten, sondern nur erfahren, teilweise auch erlitten haben. Das vernachlässigte oder mit wenig Liebe behandelte Kleinkind oder das Kindergartenkind, das von den anderen getriezt wurde, vielleicht einfach nur, weil es eine dicke Hornbrille tragen musste. Ganz klar in der Rolle des Opfers. Aber auch das Kind, das wiederum andere, vielleicht kleinere fand, die es als Täter beherrschen konnte, und damit seine Opferrolle kompensierte. Und der kleine Retter, der auf dem Spielplatz herbeirannte und ein weinendes Kind tröstete, das gerade von der Wippe gefallen war.
Das Wechselspiel der Rollen begleitete uns von Geburt an und tut dies noch ein ganzes Leben lang. In unserem Unbewussten sind alte Erfahrungen und Gefühle abgespeichert, die wir irgendwann als sehr junge Menschen einmal gemacht haben. Diese Ereignisse haben wir vergessen, sie sind also nicht mehr in unserem Bewusstsein und damit unzugänglich.
Deshalb konnten sie nie verarbeitet werden und so kann es passieren, dass sich jemand, der sich damals häufig in der Opferrolle befand, auch heute noch als ein Opfer wähnt oder sehr schnell in diese Rolle hineinrutscht, sich hineindrängen lässt. Und das selbst dann, wenn er oder sie in Wirklichkeit längst erwachsen ist, mitten im Leben steht, vielleicht schon eine eigene Familie hat. Aber plötzlich passiert etwas, was eine frühe Erfahrung anstößt, die im Unbewussten abgespeichert ist, übrigens so wie alle anderen Erfahrungen und Gefühle, die du jemals erlebt hast. Und augenblicklich fühlst du dich so wie als 4 -jähriger, dem im Kindergarten die Hosen heruntergezogen wurden.
Aber es gibt Möglichkeiten, auch heute noch, diese gefühlsmäßigen Schieflagen zu korrigieren, gerade zu rücken. Die NeuroBioMed Aktivmeditation kümmert sich genau um diese inneren Prozesse, die zu stark oder zu schwach sind, zu dominant, sich schwierig entwickelt haben, im Ungleichgewicht sind und dadurch Probleme und Schwierigkeiten verursachen. Alles das kannst du mit Unterstützung von NeuroBioMed nach und nach wieder ins Lot bringen.
Deine Rollen zu erkennen, sowohl die tief verankerten, wie auch die in deinem Leben ganz aktuellen gibt dir Freiheit, nämlich die Freiheit der Wahl. Willst du in einer bestimmten Rolle bleiben oder etwas verändern? Du hast es in der Hand! Nicht immer, aber sehr oft!
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Natürlich, das Leben funkt einem ab und zu dazwischen, plötzlich wendet sich das Blatt und du musst dich mit ganz neuen Gegebenheiten zurechtfinden. Gerade warst du noch der Täter, und schon bist du zum Opfer geworden, und willst das unbedingt sofort abstellen.
Manchmal geht es nicht so schnell, wie du möchtest, aber immer kannst du, solange du wach bleibst für die „Rollenspiele“, in denen du dich bewegst, ein kreativer Mit-Gestalter deiner Realität sein. Du musst niemand bleiben, der immer nur reagiert.
Das gibt großen Freiraum und bedeutet viel!
Denn du kannst immer mehr der werden, der du sein möchtest.
Denk einmal drüber nach.